„Es
scheint uns, als wäre für gewisse wissenschaftliche oder
künstlerische Höchstleistungen ein Schuss
´Autismus´ geradezu notwendig.“ (Hans Asperger 1968, 141)
Abgeschlossene Studie:
Die
schulische Situation von Kindern und Jugendlichen mit Autismus-Spektrum-Störungen
und hoher intellektueller Begabung-
Eine explorative Mixed-Method-Studie
Dr. phil. Philipp Knorr (2007- 2012)
Fragen an: ph.knorr@web.de
Abstract
Hintergrund:
Durch die
Ratifizierung der UN-Konvention „Übereinkommen
der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ der Vereinten
Nationen (insbes. Artikel 24)
vollziehen sich in Deutschland aktuell tiefgreifende schulstrukturelle
Veränderungen und Weiterentwicklungen (sonder-) pädagogischer
Unterstützungsstrukturen. Vor diesem Hintergrund und eingedenk steigender
Prävalenzraten im Bereich der Schüler mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASS)
sowie vorliegender Befunde zu ASS und hoher intellektueller Begabung ergeben
sich besondere schulisch-pädagogische Notwendigkeiten. Eine erst geringe Basis
an empirischen Arbeiten zu ASS und hoher intellektueller Begabung legt nahe,
dass autismustypische Ressourcen- und Problembereiche, die betroffene Schüler
mit einer durchschnittlichen intellektuellen Begabung und ASS zeigen, auch bei Schülern mit ASS und einer
hohen intellektuellen Begabung auftreten können. Bisher liegen keine Studien
zur schulischen Situation von Schülern mit Autismus-Spektrum-Störungen und hoher intellektueller Begabung vor.
Dadurch fehlen Informationen zu spezifischen Problembereichen in der
pädagogischen Förderung dieser Schülergruppe sowie Anhaltspunkte für adäquate
pädagogische und strukturell-organisatorische Handlungsmöglichkeiten.
Fragestellung:
Ziel der
vorliegenden Studie ist es, die schulische Situation von Schülern mit ASS und
hoher Begabung auf Grundlage des Resilienzparadigmas aus Sicht der Akteure
Schüler, Eltern und Lehrer zu beschreiben. Dabei stellt sich insbesondere die Frage nach subjektiv relevanten
schüler- und umweltbezogenen Ressourcen und Risikofaktoren im schulischen
Entwicklungsprozess und in der aktuellen schulischen Situation.
Methodik:
In einer explorativ angelegten Mixed-Method-Studie
wurden 67 Probanden mit einer Fragebogenbatterie und in
qualitativen Leitfadeninterviews zur schulischen Situation der fokussierten
Klientel befragt. Zudem wurden Intelligenzdaten der Probanden erhoben.
Zusätzlich wurden Daten aus Schulzeugnissen, aus Gutachten zur
Begabungsdiagnostik und Informationen aus klinischen Diagnoseschreiben in die
Studie einbezogen. 23 Schüler mit
Autismus-Spektrum-Störung und hoher intellektueller Begabung (Alter: 13,4 Jahre [10;00-18;11]; Klasse: 7. [4.-12.]; IQ aus Vorbefunden: 128,6 [SD 8,6];
IQ im CFT-20R: 127,2 [SD 10,6]), ihre Eltern (n= 22) und ihre Lehrer/-innen (n=
22) konnten in die Studie eingeschlossen werden. Die 67
Fragebogenbatterien wurden deskriptiv-statistisch, korrelations- und
inferenzstatistisch ausgewertet. Mit 62 Probanden der Gesamtgruppe (92,5%; 23
Schüler, 22 Eltern, 17 Lehrer) konnten Leitfadeninterviews zur schulischen
Situation geführt werden (face-to-face
und telefonisch; insges. ca. 61 Std. Interviewmaterial). Die qualitative Datenauswertung erfolgte in einem neunstufigen
inhaltsanalytischen Prozess.
Ergebnisse:
Die
gewonnenen quantitativen Ergebnisdaten legen psychosoziale Auffälligkeiten in
autismustypischen Persönlichkeitsbereichen auch bei Schülern mit
Autismus-Spektrum-Störungen und einer hohen allgemein intellektuellen Begabung
nahe. Schüler sahen in der schulischen Situation insgesamt weniger Probleme als
Lehrer und diese wiederum weniger als die Eltern. In qualitativen Ergebnisdaten
finden sich gemeinsame Codes der Eltern, Schüler und Lehrer und gruppenspezifische
Codes. Als Ressourcen werden in den Leitfadeninterviews u.a. die Kooperation
und autismusspezifische Aufklärung aller Beteiligten, die Haltung und das
Verhalten der Mitschüler, die Haltung der Eltern der Mitschüler und die des
Kollegiums, zeitweise Schulbegleitung, Anwendung von spezifischen Methoden und
Nachteilsausgleichen sowie Hilfen durch externe Experten herausgestellt. Qualitative Befunde der vorliegenden Studie, die in
anderen Studien noch nicht benannt wurden, sind u.a. der von den Lehrern
herausgestellte Einfluss des Lehrerkollegiums, der übergreifend benannte
Einfluss der Eltern der Mitschüler, der positive Effekt des Nutzens von
Selbsthilfeaktivitäten der Eltern sowie die Inhalte des Codes „Begabung und Begabtenförderung“. Die Ergebnisdaten
der vorliegenden Studie wurden auf verschiedene Schulstrukturebenen bezogen und
in eine trianguläre Ergebnismatrix auf Person- und Umweltebene eingeordnet.
Schlussfolgerungen:
Für
Schüler mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) und hoher intellektueller
Begabung finden sich im schulischen Kontext spezifische schüler- und
umweltbezogene Ressourcen. Es konnten jedoch auch (z.T. schwerwiegende)
Problembereiche und Risikofaktoren identifiziert werden. Dies impliziert die
Notwendigkeit von spezifischen pädagogischen Maßnahmen und strukturellen Hilfen
auch bei Schülern mit ASS und hoher intellektueller Begabung. Aus den
Ergebnissen der vorliegenden Studie wurde ein komplexes Modell zur schulischen
Situationsanalyse und Förderung von Schülern mit ASS und hoher intellektueller
Begabung abgeleitet, das praktisch angewendet und modulspezifisch evaluiert
werden sollte. Die herausgearbeiteten schulstrukturebenenbezogenen
pädagogischen Interventionen sollten individualisiert, modellgeleitet und
systematisch Anwendung finden.
Hier können Sie die gesamte Arbeit herunterladen.
Die wissenschaftliche Anbindung der Studie:
Universität Rostock

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Dr. phil. Philipp Knorr
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